Alexander-Technik  wirkt positiv auf die psychischen Selbststeuerungsprozesse. So das Ergebnis einer vergleichenden aktuellen Studie, die den Effekt der körperorientierten Methode auf die Fähigkeit der Selbststeuerung untersucht hat. Während sich diese bei den 44 Personen der Kontrollgruppe kaum veränderte, berichten die Alexander-Technik-Probanden über mehr Gelassenheit, Wohlbefinden und einen besseren Selbstzugang, der die Handlungskompetenzen auch in schwierigen Situationen deutlich erhöht.

Bronowskis wissenschaftliche Untersuchung basiert auf der PSI-Theorie von Kuhl (2001), die alle menschlichen Handlungen als Zusammenspiel von vier psychischen Systemen beschreibt: Denken, Handeln, Fühlen und Empfinden. Eine gute Kommunikation der Systeme stärkt das Selbst und bewirkt eine effizientere Selbststeuerung. Gemeint ist die Fähigkeit, eigene Gefühle wahrzunehmen und situationsangemessen zu reagieren.
Alexander-Technik unterstützt die Verbindung dieser psychischen Systeme, und so konnten die Probanden bereits nach acht Sitzungen ihre Selbststeuerungskompetenzen erheblich verbessern, obwohl weder psychologisch noch psychotherapeutisch daran gearbeitet wurde. Sie verspürten mehr Achtsamkeit und Konzentration, konnten sich besser entspannen, aber auch motivieren, Unsicherheit und Angst abbauen sowie unangenehme Erlebnisse und Gefühle leichter bewältigen. Sie erhöhten insbesondere ihre Planungs- und Handlungsfähigkeit, selbst unter Druck und in Belastungssituationen.
Fazit: Alexander-Training führt zu mehr Selbstbestimmung und Wachstum.

Der Effekt der Alexander-Technik auf die Selbststeuerungskompetenzen und -effizienz.
Inga Bronowski Diplomarbeit 94 S., veröffentlicht: 2010, Universität Koblenz-Landau, Campus Landau Fachbereich Psychologie.

Zusammenfassung:

Was ist Selbststeuerung?

Selbststeuerung ist, wie es das Wort sagt, die Fähigkeit sich selbst, also von innen heraus zu steuern. Sie lässt sich in viele verschiedene Komponenten unterteilen. Zusammengefasst jedoch fallen jene Fähigkeiten darunter, bei denen eine Person situationsangemessen und mit sich selbst im Einklang mit dem eigenen Erleben (eigene Gefühle wahrzunehmen und zu verarbeiten) und Handeln (Ziele bilden und Absichten in die Handlung umsetzen) umgeht.

Auf einen Blick

Fragestellung

Verändern sich die Selbststeuerungskompetenzen eines Alexander-Technik-Schülers nach 8 Sitzungen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe?

Stichprobe

  • 44 Alexander-Technik-Schüler zwischen 22 und 65 Jahren, davon 10 männlich und 34 weiblich.
  • 44 Personen in der Kontrollgruppe zwischen 18 und 58 Jahren bestehend aus Psychologiestudierenden und Menschen mit künstlerischem oder körperorientiertem Hintergrund, davon 14 männlich und 30 weiblich.

 

Ablauf

  • Vortest zwischen Februar und Mai 2010 und Nachtest nach 8 Sitzungen.
  • Vier Instrumente zur Erhebung unterschiedlicher Aspekte des Selbstzugangs und der Selbststeuerung: Musterpräferenzaufgabe, Selbststeuerungsinventar (SSI-K3), HAKEMP, Selbstzugangsfragebogen (SZF) sowie qualitative Fragen.

 

Ergebnisse

Allgemeine Veränderung
Veränderung der Selbstberuhigung, Selbstmotivierung, Selbstbestimmung, Misserfolgsbewältigung, Planungsfähigkeit, Absichten umsetzen und des Selbstgespürs

Differentielle Veränderung: Lageorientierung
Personen, die eher zum Grübeln neigen und in der Lage verharren, statt zu Handeln, profitieren vorwiegend stärker von der Alexander- Technik, vermutlich weil bei ihnen die selbstregulatorischen Fähigkeiten schwächer ausgeprägt sind.

Ausgangsfrage

Die vorliegende Studie ging der Frage nach, ob sich durch eine körperorientierte Methode wie die Alexander-Technik psychische Selbststeuerungsprozesse – wie sie von Kuhl1 (2001) verstanden werden – verändern lassen und welcher Mechanismus dem zugrundeliegen könnte.
Inspiriert wurde diese Frage durch Befunde zu Autogenem Training, in dem die Veränderung von selbstregulatorischen Fähigkeiten verändert werden konnte (Krampen, 1996). Zusätzlich geht aus verschiedenen Untersuchungen zur Alexander-Technik hervor, dass sich auf psychischer Ebene nicht nur das Wohlbefinden, die Lebenszufriedenheit und Depressionswerte verändern, sondern ebenso die Fähigkeit sich von innen heraus zu regulieren, sich also selbst zu steuern (Stallibrass, Sissons & Chalmers, 2002; Deichelbohrer, 1983).

Ergebnisse

Bronowski Diplomarbeit Zusammenfassung 2011 Bild1

Die zehn Balken stellen die Veränderung der Selbststeuerung in der Alexander-Technik- und in der Kontrollgruppe dar. Um welche Selbststeuerungskomponente es sich handelt, kann der Beschreibung entnommen werden. Es ist sichtbar, dass sich die Selbststeuerungskompetenzen in der Kontrollgruppe kaum verändern (graue Balken), während in der Alexander-Technik-Gruppe die Kompetenzen teilweise deutlich zunehmen (schwarze Balken). Der Vergleich zur Kontrollgruppe ermöglicht es, die Ergebnisse dahingehend zu interpretieren, dass die Veränderung in der Alexander-Technik-Gruppe durch die Alexander-Technik begünstigt oder sogar entscheidend beeinflusst wurde.

Beschreibung der Selbststeuerungskomponenten

  1. Selbstbestimmung
    Wie sehr Ihre Tätigkeiten mit eigenen Bedürfnissen und Werten übereinstimmen.
  2. Selbstmotivierung
    Wie sehr Sie sich bei Laune halten können, wenn Sie schwierige Dinge zu erledigen haben.
  3. Selbstberuhigung
    Wie gut Sie Unsicherheit, Nervosität und Angst abbauen können und unangenehme Erlebnisse entwicklungsförderlich verarbeiten.
  4. Planung
    Wie gut Sie strukturiert und planvoll an Aufgaben und Ziele herangehen.
  5. Angstfreie Zielorientierung
    Wie sehr Sie frei von innerem Druck an Ziele herangehen und sich nicht nur von der Angst vor Misserfolg in Ihrem Handeln leiten lassen.
  6. Initiative
    Wie gut bringen Sie Energie zur Initiierung eigener und fremder Handlungen auf?
  7. Absichten umsetzen
    Wie gut können Sie Ihre Absichten umsetzen können, statt sie aufzuschieben.
  8. Konzentration
    Wie gut können Sie Ablenkungen von außen und innen unterbinden, um konzentriert bei einer Sache zu bleiben?
  9. Misserfolgsbewältigung
    Wie gut können Sie aus Fehlern lernen und unangenehme Dinge akzeptieren, statt lange darüber zu grübeln.
  10. Selbstgespür
    Wie gut spüren Sie unter Druck und Belastung noch das, was Sie selber wollen und was Sie ausmacht?

Wer profitiert von der Alexander-Technik?

In dieser Arbeit wurde eine Persönlichkeitseigenschaft erhoben, die sich Handlungs- und Lageorientierung (Kuhl & Beckmann, 1994) nennt. Diese Eigenschaft beschreibt, wie schnell sich eine Person von Misserfolg erholt und wieder handlungsfähig wird und wie leicht es ihr fällt, schwierige Absichten umzusetzen. Kurz gefasst: verharrt eine Person in der Lage oder geht sie schnell in die Handlung?

Jede Person besitzt eine Dominanz entweder auf der Handlungs- oder Lageorientierung. Und keine dieser Eigenschaften ist per se gut oder schlecht. In der Lage zu bleiben, statt schnell zu handeln, kann sehr vom Vorteil sein, wenn die Situation schwierig ist und gut durchdacht werden muss. Gleichzeitig neigen jedoch lageorientierte Personen dazu, das Gefühl für sich selbst unter Stress und Druck zu verlieren. Sie neigen dann zu Entfremdung und zur Annahme fremder Erwartungen. In entspannten Bedingungen aber sind sie sehr konzentriert und haben ein differenziertes Bild von sich selbst. Handlungsorientierte Personen haben häufig einen Vorteil in solchen Situationen, die Schnelligkeit im Handeln und Spontaneität erfordern. Sie wissen selbst unter Druck noch, was sie wollen und was nicht zu ihnen passt, jedoch fällt es ihnen schwer negative Stimmung auch mal als solche anzunehmen, ohne sie gleich zu kompensieren.

Die Ergebnisse sprechen dafür, dass sich einige Selbststeuerungskompetenzen besonders bei Lageorientierten verändern, also den Personen, die es gewohnt sind, abzuwarten, zu planen und nicht spontan zu handeln. Die folgende Abbildung verdeutlicht den Unterschied zwischen Handlungs- und Lageorientierten in der Alexander-Technik-Gruppe. Es ist sichtbar, dass Handlungsorientierte bereits über eine höhere Selbstmotivierung und Selbstbestimmung verfügen und sich die Einschätzung der Selbststeuerungskompetenz durch den Unterricht nicht verändert, Lageorientierte jedoch deutlich profitieren.

Bronowski Diplomarbeit Zusammenfassung 2011 Bild2

Interpretation

Da die Alexander-Technik nicht unmittelbar psychologisch oder psychotherapeutisch an den Selbststeuerungskomponenten arbeitet, stellt sich die Frage, warum sie sich dennoch in der Alexander-Technik-Gruppe verändern. Der Wirkmechanismus wurden in der vorliegenden Arbeit mit dem Systemkonditionierungsmodell von Kuhl (2001) erklärt, bei dem die Kommunikation zwischen verschiedenen Systemen gestärkt wird.

Diese vier psychischen Systeme sollen metaphorisch mit einem Schiff verglichen werden:

Selbstsystem

Unser Schiff hat einen Besitzer, der um von A nach B zu kommen, eine ausführende Mannschaft braucht, da er selbst keinen vollständigen Bootsführerschein hat. In der PSI-Theorie ist das Selbstsystem Teil des Extensionsgedächtnisses und daher kein eigenständiges, ausführendes System.

1. Extensionsgedächtnis (Fühlen)

Ein Schiff braucht einen Kapitän, der eine Vision hat, der den Überblick über alle Vorgänge an Bord hat, aber nicht jedes Detail ausführt, sondern dafür seine Matrosen hat, deren direkte Führung der Steuermann übernimmt.

2. Objekterkennungssystem (Empfinden)

Am Mast eines Schiffes sitzt ein Matrose, der mit einem Fernrohr nach einzelnen Inseln und Gefahrenquellen Ausschau hält. Er hat dadurch zwar nicht den großen Überblick, aber kann sehr scharf einzelne Dinge wahrnehmen und sie melden.

3. Intentionsgedächtnis (Denken / Analysieren)

Der Steuermann an Bord befiehlt den Matrosen, was sie zu tun haben. Er übersetzt die Vision des Kapitäns (das Reiseziel) in einen Plan mit allen Teilschritten und weiß genau, wann was auszuführen ist.

4. Intuitive Verhaltenssteuerung (Handeln)

Und zuletzt gibt es viele Matrosen, die alle wichtigen Arbeiten an Bord ausführen. Sie sind geübt und müssen nicht mehr darüber nachdenken, wie sie beispielsweise die Segel ziehen.

Damit das Schiff fährt, müssen alle miteinander kommunizieren und ihre Arbeit gut verrichten. Ein einzelner Mensch ist nun auch wie ein Schiff, das nur dann sein Erleben sinnvoll reflektieren, Ziele aus dem Selbst heraus generieren und in der Welt wirksam werden kann, wenn alle Systeme gut miteinander kommunizieren. In der Alexander-Technik gibt es die Formulierung: Der Gebrauch bestimmt die Funktion. Übertragen auf die psychischen Systeme bedeutet das, dass sie nur bei gutem Gebrauch (=gute Verbindung und sinnvolle Kommunikation) das „Funktionieren“ des Menschen in der Welt unterstützen.

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Abbildung: Darstellung der psychischen Systeme, der beiden unabhängigen Affektdimensionen und der zentralen selbstregulatorischen Kompetenzen Selbstberuhigung und Selbstmotivierung.
A- = negativer Affekt; A(-) = herabregulierter negativer Affekt; A+ = positiver Affekt; A(+) = herabregulierter positiver Affekt.

Was passiert nun laut Systemkonditionierungsmodell in der Alexander-Technik-Stunde?

So wie wir Reiz-Reaktions-Mechanismen lernen, bei denen bestimmte Reize mit bestimmten Reaktionen verknüpft werden, so können wir auch lernen, bestimmte Bereiche des Gehirns miteinander zu verschalten, indem wir sie synchron oder kurz hintereinander benutzen. Durch die Prinzipien und Vorgehensweisen in der Alexander-Technik wird ein System im Gehirn, das komplexe Steuerungsvorgänge koordiniert (Selbstsystem), mit den ausführenden Systemen des Gehirns verbunden. Dieses übergeordnete Steuerungssystem regelt auch die Verbindung der ausführenden Systeme untereinander. Und da Lageorientierte unter Druck und Stress einen schwachen Zugang zum Selbstsystem haben, fällt ihnen dann auch die Verbindung dieser Systeme untereinander schwer. Daher profitieren sie in besonderer Weise durch die Alexander-Technik, weil genau diese Verbindungen gestärkt werden. Handlungsorientierte hingegen können die Verbindung der Systeme bereits schnell herstellen, da sie über einen guten Selbstzugang verfügen. Sind alle Systeme erst einmal gut miteinander verschaltet, können sie auch in anderen Kontexten wirksam werden. Dadurch verbessern Alexander-Technik-Schüler ihre Selbststeuerungskompetenzen, obwohl sie in der Sitzung nicht psychologisch bearbeitet werden. Jedoch werden die Systemverbindungen gestärkt, die den Selbststeuerungskompetenzen zugrundeliegen, was sich auf der psychischen Ebene zeigt.

Der Einsatz qualitativer und quantitativer Messmethoden in dieser Arbeit erlaubt es, ein größeres Spektrum an Auswirkungen von Sitzungen in der Alexander-Technik zu erkennen. Besonders stark verändern sich das Körperbewusstsein, die Selbstregulationsfähigkeit und teilweise die Handlungsbahnung, was sowohl qualitativ als auch quantitativ belegt ist. Außerdem berichten Probanden über mehr Gelassenheit, Achtsamkeit, Fähigkeit zur Entspannung, Schmerzlinderung und einen erhöhten Selbstzugang. Alexander-Technik tut also nicht nur gut, sondern sie fördert auch in anderen Kontexten die Bewältigung von unangenehmen Erlebnissen und Gefühlen, stärkt die Kongruenz zwischen dem, was Menschen wollen und dem, was sie tun, ermöglicht, Hürden und Schwierigkeiten aus eigener Kraft zu meistern und unterstützt die gezielte Planung und Umsetzung von Handlungszielen, weil der Zugang zum Selbst gestärkt wird.

Wie langfristig diese Veränderungen sind und wie tief sie wirken, kann mit dieser Arbeit nicht beantwortet werden, dafür wären ein Follow-up und der Einsatz objektiver Messinstrumente wichtig.